Sina Scherzant

Autorinnentip: Sina Scherzant

Seit ich von ihrem ersten Roman „Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne“ gehört habe, steht Sina Scherzant damit auf meiner Leseliste. Aber wie das so ist mit Leselisten: Sie sind lang und ihre Abarbeitung folgt keinem klar erkennbaren Schema. Und eine permanente „Leseauslastung“ führt leider dazu, dass manche Titel jahrelang auf diesen Listen ihr Dasein fristen und vergeblich auf ihren großen Moment warten.

Nun hat Sina Scherzant schon den nächsten Roman veröffentlicht und glücklicherweise konnte ich „Taumeln“ dank VORABLESEN schon vor dem offiziellen Erscheinungstermin in die Hände bekommen. Und weil mir dieses Buch und die Charaktere darin so gut gefallen haben, habe ich gleich „Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne“ hinterhergeschoben – und wurde auch hier nicht enttäuscht!

Hier sind nun also zwei Buchtips für jede*n, der/die nachdenkliche, melancholische Romane voller emotionaler Dichte und mit fein herausgearbeiteten Charakteren mag.

TAUMELN

„Eine Gruppe Versehrter, das sind wir, eine Gruppe Versehrter zersprengt von Kleinstadt- und Großstadttristesse, von Welttristesse, empfindlich getroffen von zerplatzten Lebensträumen und verwundet von der Sehnsucht nach Rettung…“

Es ist schon zwei Jahre her, dass Hannah plötzlich verschwand. Niemand weiß, wo sie ist, niemand weiß, ob sie noch lebt. Doch eine Gruppe von sieben Menschen aus ihrem Heimatdorf gibt die Hoffnung nicht auf. Sie treffen sich einmal in der Woche, immer samstags, um das Waldstück hinter Hannahs Elternhaus nach der vermissten jungen Frau zu durchkämmen. Angeführt wird der Suchtrupp von Hannahs jüngerer Schwester Luisa. Doch was sie dort im Wald suchen, wissen sie längst nicht mehr. Allen ist klar, dass Hannah schon viel zu lange weg ist, um noch irgendwo zwischen den Bäumen zu sein. Und eigentlich haben sie mit ihrer kleinen Gruppe dort schon jeden Stein umgedreht.

Vielmehr sind es Einsamkeit und Schmerz, die sie dort zu einer ungleichen Notgemeinschaft zusammenführen:
Da ist Inge, die im Wald immer die Kommandos gibt, während sie hinter der Wohnungstür regelmäßig zum stillen Opfer häuslicher Gewalt wird. Da ist der einsame Frank mit seinem gebrochenen Herzen. Und da ist Luisa selbst, die seit dem Verschwinden ihrer Schwester von Schuldgefühlen geplagt ist und wie gelähmt dem Zerbrechen ihrer traumatisierten Familie gegenübersteht.

Schon nach wenigen Seiten wird klar, dass es nicht darum geht, ob und wie die Gruppe die vermisste Hannah findet. Trotz des Settings ist der Roman alles andere als ein Krimi oder Thriller. Vielmehr ist es eine leise und poetische Geschichte über das Trauern und Loslassen, über das Füreinanderdasein und das Festhalten. „Taumeln“ handelt von den stillen, alltäglichen Dämonen, mit denen fast jeder Mensch lebt, von Schicksalsschlägen und Zäsuren, die im Leben alles auf den Kopf und in Frage stellen können.

Es ist ein vielschichtiger und berührender Roman voller Fingerspitzen- und Taktgefühl. Mit einer starken Erzählstimme und sensibler Figurenzeichnung.

Und ja, don’t judge a book by its cover und so, aber ich möchte einfach mal sagen, wie schön ich dieses Buch finde – sowohl den Schutzumschlag mit den pink-türkisen Blättern als auch das „nackte“ Buch mit dem glitzernden Farbverlauf. Ich bin verliebt!

Danke an Vorablesen für dieses schöne Rezensionsexemplar!

AM TAG DES WELTUNTERGANGS VERSCHLANG DER WOLF DIE SONNE

„Ich vergab mir nichts, ich flüsterte mir die schrecklichsten Dinge über mich selbst ein, ich war mir selbst die schlechteste Freundin.“

Es allen recht machen, bloß nicht für Ärger sorgen, den ganzen inneren Schmerz so lange umstülpen, bis nichts davon mehr nach außen dringt – auch nach der Scheidung ihrer Eltern und dem damit verbundenen Umzug nach Dortmund weiß die 14-jährige Katha, dass sie ihre eigenen Befindlichkeiten zum Wohle der anderen besser zurückhält und ihren Kummer lieber mit sich selbst ausmacht.

Nur zu ihrer jüngeren und viel rebellischeren Schwester Nadine hat Katha eine tiefe Bindung. Mit ihr entflieht sie im heimischen Badezimmer in ungeahnte Fantasiewelten und krönt den Hamster zum allmächtigen Herrscher.

Unkompliziert wie sie ist, findet Katha in ihrer neuen Schule schnell Anschluss. Katha, Jessi, Anna, Kati und Sofie sind bald eine eingeschworene Mädchenclique. Und dann ist da noch Sofies weltoffene Mutter Angelica, die für Katha zu einer ganz besonderen Vertrauensperson wird. Von ihr lernt Katha, wie stärkend die solidarische Gemeinschaft von Frauen und Mädchen ist. Sie beginnt, sich Angelica gegenüber zu öffnen und all die Gedanken, die sie viel zu lange hinuntergeschluckt hat, in Worte zu fassen. Und sie beginnt, für sich selbst einzustehen. Doch dann bringt ein schwerer Schicksalsschlag alles wieder ins Wanken…

„Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne“ ist eine kluge und feministische Coming-of-Age-Geschichte aus der Perspektive einer Teenagerin, die lernt, ihren eigenen Wert und ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Es ist aber auch ein Roman über das verzehrende Gravitationsfeld von Trauer und Verlust.

Sina Scherzants Erzählstimme erstreckt sich in diesem Buch eindrucksvoll über mehrere Oktaven: Mal gibt es schnoddrig-authentische Teenagersprache, dann wieder nachdenkliche, fast poetische Passagen, gefolgt von sarkastisch-humorvollen Abschnitten voller starker Szenen und popkultureller Referenzen aus den 90er und 2000er Jahren.


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Die Links in diesem Beitrag führen zum Webshop meiner Lieblingsbuchhandlung Cohen & Dobernigg. Ich bekomme von niemandem Geld für diese Verlinkung. Ich verlinke sie einzig und allein, weil ich die dahinterstehenden Menschen bzw. ihre Arbeit sehr schätze und gern weiterempfehle und unterstütze.
Außerdem enthält dieser Beitrag einen Link zu VORABLESEN (einem Angebot der Ullstein Buchverlage GmbH), die mir das Buch „Taumeln“ als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben.