Lockdown Breakdown

Lockdown-Breakdown

Ich kann eigentlich gar nichts mehr zu der aktuellen Situation sagen, denn es haben schon so viele Leute in den letzten Tagen soviel gesagt. Vieles davon war schlauer, als ich je hätte formulieren können. Einiges war dümmer als ich es jemals für möglich hielt.

Ich möchte eigentlich nur sagen, dass ich mir Sorgen mache. Sorgen um meine eigene psychische Gesundheit, aber auch um die meiner Mitmenschen. Ich mache mir Sorgen wegen dieses grauen Schleiers, der sich ohnehin im November um alles legt. Der das Leben auch ohne Pandemie und Lockdown immer ein wenig dunkler macht.

Ich mache mir auch Sorgen wegen des ganzen Geschreis, das ich langsam nicht mehr ertrage. Es macht mich traurig zu sehen, dass sich Leute nach jahrelangem Zusammenhalt plötzlich online in aller Öffentlichkeit zerfleischen und gegenseitig von Freundeslisten schmeißen. Dass sich Familien wegen You Tube-Algorithmen und Facebook-Sharepics zerstreiten. Dass zwischen all dem Schwarz und Weiß die Graustufen immer mehr verloren gehen und es nur noch ein laut geblafftes „Dafür!!!“ oder „Dagegen!!!“ zwischen zwei Gräben gibt. Dass das Wichtigste, was wir zwischenmenschlich haben, immer mehr verloren geht: Respekt und Besonnenheit.

Ich mache mir Sorgen, dass wir uns mit all dem Groll und der Wut, die wir auf die Pandemie und ihre vermeintlichen Verursacher und Verstärker in uns tragen, langsam vergiften. Dass wir uns moralisch denen überlegen fühlen, die nicht unsere Ansichten teilen.

Ich mache mir auch Sorgen über das was wir Normalität nennen. Wann wird es wieder „normal“? Und was bedeutet „normal“ ab jetzt?

Und ich mache mir Sorgen um all die Leute, die in den letzten Monaten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versucht haben, ihre Existenz am Laufen zu halten und nun doch wieder straucheln werden. Ich mache mir Sorgen um Künstler:Innen, Gastronom:Innen und andere Selbständige, die vom Lockdown unmittelbar wirtschaftlich betroffen sind. Ich lebe in einer Nachbarschaft, die von genau diesen Menschen geprägt ist und die Gedanken darum, wie es weitergehen soll, sind hier allerorts vielfältig präsent.

Ich mache mir auch Sorgen, dass wir die relevanten Dinge aus den Augen verlieren. Dass wir mehr über die verstrahlten Telegram-Theorien gedanklich verwirrter C-Promis diskutieren, als über die Sollbruchstellen unserer Gesellschaft, die sich seit März immer mehr offenbaren. Missstände in Schulen und Kitas. Der Notstand in der Pflegebranche. Die tier- und menschenverachtenden Zustände in Schlachthöfen. Um nur einige zu nennen.

Ich mache mir einen Haufen Sorgen und dabei möchte ich das gar nicht. Ich habe in den letzten Jahren ziemlich hart daran gearbeitet, die Last des Overthinkings abzulegen und ich hatte nicht vor, jetzt wieder damit anzufangen. Ich möchte zuversichtlich und besonnen bleiben. Respektvoll mit jedem umgehen, der mir begegnet – so lange man sich auf gewisse gemeinsame moralische Nenner einigen kann. Vielleicht ist das die Herausforderung der nächsten Wochen. Einfach locker durch die Hose zu atmen und dabei die Tassen im Schrank zu behalten.