Buchtipp: „Geordnete Verhältnisse“ von Lana Lux

Vorwort: Mit „Geordnete Verhältnisse“ hat Lana Lux nicht nur ihr drittes Buch veröffentlicht, sondern auch einen Roman geschrieben, über den man vor dem Lesen idealerweise nicht allzu viel wissen sollte. Je unbefangener man an die Geschichte herangeht, desto besser. Wer trotzdem neugierig darauf ist, worum es geht, liest hier jetzt einfach weiter, alle anderen machen diesen Blog jetzt zu, gehen ganz schnell in die nächste unabhängige Buchhandlung und kaufen und lesen dieses Buch. Es ist nämlich unfassbar gut und gehört zu den Romanen, die noch lange nachwirken.

Toxische Freundschaft, eine manipulative Beziehung, patriarchale Strukturen, männliche Gewalt und die Frage, warum es überhaupt so weit kommen konnte:

„Ich wartete auf eine passende Gelegenheit, um Faina zu meiner Freundin zu machen. Ich wollte behutsam vorgehen, sie zähmen (…) Ich konnte kaum erwarten, für Faina einzig zu sein.“

Phillip ist ein Außenseiter, ein Junge mit Wutausbrüchen, der Sohn einer trinkenden Mutter, der auch in der Schule noch immer in die Hose macht. Faina ist ein kluges, aber verunsichertes Mädchen aus der Ukraine, deren Eltern erst seit kurzem in Deutschland leben. Als sie sich in gebrochenem Deutsch vor der kichernden Klasse vorstellen muss, beschließt Phillip, Faina zu seiner Freundin zu machen.

Zwischen den beiden entwickelt sich eine intensive Freundschaft. Anfangs lässt sich Phillips Verhalten gegenüber Faina als kindliche Besserwisserei abtun. Er erklärt ihr, dass man in Deutschland nicht aus dem Fenster schreit, korrigiert ihre Aussprache und sagt ihr, wenn sie nach Knoblauch riecht. Doch schon bald wird sein Verhalten manipulativer. Phillip entwickelt Besitzansprüche und will nicht, dass Faina andere Freundinnen und Freunde hat.

Als ihre Freundschaft in den Jugendjahren an Phillips Asexualität zerbricht und Faina ihn verlässt, verliert Phillip seinen Lebensmittelpunkt. Er setzt alles daran, Faina zurückzugewinnen – und legt damit den Grundstein für eine folgenschwere Besessenheit.

„Mein ganzes Leben ist gerade eine einzige Lüge. Und manchmal kann ich selbst nicht mehr unterscheiden, was wahr und was erlogen ist.“

Aus einer Notlage heraus steht Faina nach einigen Jahren wieder vor der Tür ihres inzwischen wohlhabenden Schulfreundes. Phillip wittert die perfekte Möglichkeit, Faina endgültig ganz an sich zu binden. Er lässt sie bei sich einziehen und übernimmt sogar die Vaterschaft für das Kind, mit dem Faina schwanger ist. Was folgt, ist das intensive und abgründige Protokoll einer toxischen Beziehung und eine beklemmende Geschichte voller Manipulation, Machtspiele und Gewalt. Es ist fast unmöglich, über den weiteren Verlauf des Romans zu schreiben, ohne die Handlung zu spoilern.

Wie schon in dem 2020 erschienenen Roman „Jägerin und Sammlerin“ wechselt Lana Lux immer wieder die Erzählperspektiven und beleuchtet die Beziehung zwischen Philipp und Faina von allen Seiten. Nichts bleibt verborgen, jeder abgründige Gedanke wird offengelegt, jede Fassade wird eingerissen, jedes Geheimnis wird erzählt.

„Warum ist sie denn auch trotz allem bei ihm geblieben?“

Nach Ereignissen, die in der Berichterstattung oft als „Beziehungstragödien“ bezeichnet werden, stellt sich oft die Frage, warum und wie es dazu kommen konnte und warum die Opfer nicht einfach gegangen sind. „Geordnete Verhältnisse“ gibt Antworten und wirft doch Fragen auf. Manipulatives Verhalten, patriarchale Machtstrukturen, gesellschaftliche Ignoranz, männliche Gewalt – mittendrin: Frauen, die allzu oft existenziell völlig von einem Mann abhängig sind und keine andere Möglichkeit haben. Die Geschichte von Faina und Phillip zeigt, warum es für Frauen oft eben nicht so einfach ist, sich aus gewalttätigen Beziehungen zu befreien, und dass der gefährlichste Moment für eine Frau der Moment der Trennung ist.

Lest dieses Buch. Es ist so gut, intensiv, feministisch und wichtig!

„Geordnete Verhältnisse“ ist erschienen bei Hanser Berlin.
Danke an Vorablesen für das Rezensionsexemplar!

Ebenfalls empfehlenswert: „Jägerin und Sammlerin“ von Lana Lux, erschienen 2020