Der Lesetipp im November: Lesen gegen Depressionen
Gerade kürzlich wurde ich wieder einmal nach Buchempfehlungen zum Thema Depressionen gefragt. Das Angebot an gutem Lesestoff zum Thema ist ja zum Glück mittlerweile sehr groß, doch die Zielgruppen und Ansprüche der Bücher sind unterschiedlich. Es gibt Romane und Erfahrungsberichte, Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Und da die Zeit momentan für uns alle schwer ist und wir alle gut auf uns und aufeinander aufpassen müssen, stelle ich euch heute ein paar meiner Lieblingsbücher zum Thema psychische Gesundheit vor.
Benjamin Maack – „Wenn das noch geht kann es nicht so schlimm sein“
Der Journalist Benjamin Maack erzählt in „Wenn das noch geht kann es nicht so schlimm sein“ von seiner Depression, seinen Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken und seinen Suizidabsichten. Und er tut das auf eine so detaillierte, authentische und eindringliche Art, dass das Lesen mich schmerzhaft daran erinnerte, wie endlos sich dieser depressive Zustand auch bei mir selbst anfühlte, wie tiefdunkel der Schmerz sein kann, wie erdrückend diese Lähmung. Aber auch daran, wie lange man sich zusammenreißen kann, wie lange man versucht, seine Maske zu wahren und in einem Leben zu funktionieren, dass schon längst keines mehr ist.
„Wenn das noch geht kann es nicht so schlimm sein“ ist kein Ratgeber für Betroffene. Und es hat auch nicht den Anspruch, einer zu sein. Maacks intime Erzählungen leuchten das dunkle Innenleben eines depressiven Menschen so detailliert aus, dass ich froh bin, ein solches Buch nicht in meiner finstersten Zeit in die Hände bekommen zu haben. Vielmehr empfehle ich es als Hilfe für Angehörige und Interessierte, die einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt depressiv erkrankter Menschen erlangen möchten.
Maacks Buch bekam übrigens kürzlich den Hamburger Literaturpreis 2020 als „Buch des Jahres“ – völlig zu Recht.
Hier findet ihr ein Interview mit Benjamin Maack zu seinem Buch (Link zum NDR).
Matt Haig – „Ziemlich gute Gründe am Leben zu bleiben“
Wirklich DAS perfekte Buch für von Depressionen Betroffene. Denn Matt Haig schreibt nicht nur fantastische Romane für Erwachsene und Jugendliche und macht auf seinem Twitterkanal ziemlich intelligentes Zeug, er hat mit „Ziemlich gute Gründe am Leben zu bleiben“ auch einen Leitfaden verfasst, den man als Mensch mit Depressions-Background immer in Griffweite haben sollte. Er erlaubt einen Einblick in seine eigene, von Depressionen und Suizidgedanken geprägte Vergangenheit und bietet Blickwinkel voller Hoffnung und Zuversicht. Der Titel ist Programm, die Kapitel sind kurz, leicht zu erfassen und funktionieren auch unabhängig voneinander – ideal für die kurzen Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspannen, die die Erkrankung leider oft mit sich bringt. Ich liebe dieses Buch sehr. Wirklich. Man sieht es vielleicht an den ganzen Post-It-Fähnchen…
Kathrin Weßling – „Drüberleben“
„Drüberleben“ erschien bereits 2012 und ist der großartigste Roman zum Thema Depressionen, den ich bisher gelesen habe. Denn Kathrin Weßling liefert kraftvolle Worte über eine Krankheit, die so oft alle Kraft raubt.
Ida ist 24, depressiv und mit ihrem Leben in ganzer Hinsicht überfordert. Sie ist nicht in der Lage ein Leben in dem zu führen, was andere „Normalität“ nennen – auch wenn sie es krampfhaft versucht. Zwischen Alkoholkonsum, gutgemeinten Ratschlägen und scheiternden Beziehungen entscheidet sich Ida zu einer erneuten Therapie und begibt sich in eine psychiatrische Klink. Die Geschichte verliert sich nicht in Beschreibungen des tristen Klinikalltages oder in der Darstellung von Therapieansätzen, sondern ist ein ganzheitliche und spannungsgeladene Schilderung von dem, was passieren kann, wenn Menschen einfach nicht so funktionieren, wie die Gesellschaft es von ihnen erwartet.
„Drüberleben“ ist das authentische Portrait einer Depression und des Menschen dahinter. Auf einem sprachlich wunderbaren Niveau fehlt diesem schnörkellos geschriebenen Buch jede flapsig hingerotzte Oberflächlichkeit. Und es hinterlässt Fragen: Was ist ein glückliches Leben? Sind Depressionen heilbar? Geht das jemals wirklich vorbei? Bin ich normal? Wer ist normal? Und warum?
Uwe Hauck – „Depressionen abzugeben“
Auch „Depressionen abzugeben“ ist die Biografie eines Betroffenen. Uwe Hauck arbeitet in der IT-Branche als ihn Depressionen, Burn-Out und schließlich ein Suizidversuch aus der Bahn werfen. In seinem Buch liefert er einen detaillierten Einblick in seinen Klinikaufenthalt und in seinen Weg zurück ins Leben. Uwe Haucks Tochter Katja hat ebenfalls ein Buch veröffentlich, in dem sie die Erkrankung ihres Vaters aus ihrer Sicht schildert: „Lieber Papa, bist du jetzt verrückt?: Mein Vater, seine Depression und ich“
„Laufen“ ist ein wortgewaltiger Roman, der das Thema Suizid aus der Sicht einer Angehörigen und Hinterbliebenen beleuchtet. Nach der Selbsttötung ihres Lebensgefährten verbrachte die Erzählerin ein Jahr in trauernder und gelähmter Starre. Mit dem Laufen möchte sie Körper und Seele wieder in Bewegung bringen und aus ihren anfangs quälend langsamen Schritten werden schon bald meditative Läufe voller Kraft und Leben. In beeindruckend treffender Wortgewalt schildert sie dabei sowohl den Verlauf der Depressionserkrankung ihres Partners als auch ihre eigene emotionale Welt voller Schuldgefühle, Wut und Traurigkeit. Ein wundervolles Buch über den Schmerz, die Sogwirkung und die verschlingende Leere, die ein Suizid bei Angehörigen hinterlässt. Aber auch über die Kraft der Bewegung und über den Kampf zurück ins Leben.
Sally Brampton – „Das Monster, die Hoffnung und ich“
Schon 2008 erschienen war „Das Monster, die Hoffnung und ich“ eines der ersten Bücher, die ich bewusst als selbst betroffener Mensch zum Thema Depressionen las. Brampton schildert in ihrer biografischen Erzählung detailliert und schnörkellos ihren jahrelangen Spagat zwischen ihrem Berufsleben als erfolgreiche Journalistin und ihrem geheimen Kampf gegen ihre schwere rezidivierende Depression. Ich verdanke diesem Buch sehr, sehr viel. Es machte mir damals klar, dass Depressionen eine ernstzunehmende Erkrankung sind, die das Leben dauerhaft und irreversibel verändern können. Leider konnte Sally Brampton ihren Kampf gegen die Krankheit nicht gewinnen. Im Jahr 2016 starb sie mutmaßlich durch Suizid. Der Name dieses Blogs ist eine kleine Reminiszenz an den englischen Originalbuchtitel „Shoot The Damn Dog“ und damit an Sally Brampton.
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Die Links in diesem Beitrag führen – wenn nicht anders vermerkt – zum Webshop meiner Lieblingsbuchhandlung Cohen & Dobernigg. Ich bekomme von niemandem Geld für diese Verlinkung. Ich verlinke sie einzig und allein, weil ich diesen kleinen Laden sehr, sehr liebe und finde, dass man unabhängigen Buchhandel supporten sollte.