Nika

Welcome home, Nika!

„Irgendwann nehme ich eine von euch mit.“

Das habe ich oft gesagt, wenn ich auf Kreta einer Straßenkatze begegnet bin. Und es gibt viele Katzen dort. So viele Katzen. Sie streunen durch die Straßen, dösen im Schatten, betteln in Tavernen und Hotels um die Reste, die vom Tisch fallen oder im Müll landen. Manche haben einen Menschen. Die meisten nicht. Sie haben entzündete Augen. Einen appen Schwanz. Zerfetzte Ohren. Sind voller Flöhe und Parasiten. Sie haben Hunger. Vor allem die Kater sind von Revierkämpfen gezeichnet. Und so sehr ich diese Insel auch liebe, diese armen Tiere brechen mir jedes Mal das Herz.

Einige Menschen dort kümmern sich um die Streuner. Sie füttern sie, stellen Wassernäpfe auf. Aber all das ist kein Ersatz für ein liebevolles, ruhiges Zuhause und tierärztliche Versorgung. Und darum ist da immer dieses Pieken im Herz, wenn ich nach einer kurzen Streicheleinheit wieder gehen und das Tier seinem Schicksal auf der Straße überlassen muss. Denn das Leben auf der Straße ist immer hart und meist nur kurz.

Und weil „irgendwann“ immer nur ein anderes Wort für „nie“ ist, haben der Lebenskomplize und ich es jetzt einfach gemacht: Wir haben spontan eine kretische Katze adoptiert, die sich vor einer Woche um diese Zeit noch streunend auf den Straßen von Rethymno durchschlagen musste.

Eine Straßenkatze in Griechenland adoptieren? Geht das so einfach? Ja. Und nein.
Aber alles der Reihe nach.

Die einfachste Möglichkeit, streunenden Tieren am Urlaubsort nachhaltig zu helfen, ist eine Flugpatenschaft. Viele Streunerhilfevereine suchen Flugpaten. Dabei begleitet man ein bereits adoptiertes Tier auf seiner Reise in ein neues Zuhause. Bei einer Flugpatenschaft muss man wirklich nichts tun – man bekommt das Tier vor dem Abflug übergeben, die entsprechende Tierschutzorganisation kümmert sich um alle notwendigen Formalitäten und am Zielflughafen wartet schon der*die neue Besitzer*in.

Bereits vor unserem Kreta-Urlaub hatte ich Kontakt zu den Kretapfötchen, einem Netzwerk aus Organisationen, Tierärzt*innen und Privatpersonen, das sich um streunende Katzen auf Kreta kümmert. Der Lebenskomplize und ich stellten uns als Flugpaten zur Verfügung und schnell stand fest, dass wir auf dem Rückflug eine adoptierte Katze namens Fieps mitnehmen konnten. Fieps sollte nach unserer Rückreise am Flughafen in Hamburg von der neuen Besitzerin in Empfang genommen werden. Wir haben uns sehr gefreut, auf diese Weise wenigstens einen kleinen Beitrag gegen das Streunerelend leisten zu können.

Das erste Treffen in den Straßen von Rethymno

Und dann kam der 9.Juni.

An diesem Tag machten der Lebenskomplize und ich einen Spaziergang durch die Altstadt von Rethymno und trafen auf eine kleine Katze, die uns im Bruchteil einer Sekunde das Herz brach. In den folgenden Tagen kehrten wir fast jeden Abend zu ihr zurück, um nach ihr zu sehen, und jedes Mal kam sie freudig auf uns zu, ließ sich streicheln und füttern und lief uns noch lange nach, wenn wir wieder gingen. Sie war so klein, so zart, wir konnten kaum glauben, wie sie das harte Leben auf der Straße überlebte. Mir kamen die Tränen, als sie mir um die Beine strich, und ich sah das kleine Ding an und sagte zu ihr: „Ich kann dir nichts versprechen. Aber ich werde sehen, was ich für dich tun kann, okay?“

Und da ich sowieso schon Kontakt zu den Kretapfötchen hatte, fragte ich dort meine Kontaktperson, welche Möglichkeiten es gäbe, dieser kleinen Katze zu helfen. Die Antwort: Einfangen. Zum Tierarzt bringen. Papiere und Impfungen besorgen. Transportbox kaufen. Fluggesellschaft anrufen. Mitnehmen.
Aber wie sollte das gehen? Ich konnte doch nicht einfach wie in einem Selbstbedienungsladen eine Katze einfangen und sie dann eine Woche lang heimlich in unserem Hotelzimmer einsperren.

Am selben Abend gingen wir noch einmal zu der kleinen Katze, den Weg kannten wir inzwischen gut. Als wir dort ankamen, war eine ältere Dame gerade dabei, Schalen mit Katzenfutter aufzustellen, mehrere Tiere liefen zwischen ihren Füßen umher. Wir kamen mit ihr ins Gespräch. Ioanna – so hieß die ältere Dame – erzählte uns, dass sie sich um viele Katzen kümmere, es aber einfach zu viele geworden seien und sie sich über jeden freuen würde, der ein Tier bei sich aufnehmen würde. Die kleine schwarze Katze setzte sich in unsere Mitte und schaute zu uns auf. Und ich sagte zu Ioanna: „Ich nehme sie. Sofort.“

Und dann ging plötzlich alles ganz schnell: Wir lernten Valena kennen, eine Freundin von Ioanna, die sich vor Ort in Rethymno ebenfalls um Streunerkatzen kümmert. Sie begleitete uns mit der kleinen Katze zu einer Tierärztin, wo wir alle notwendigen Papiere für die Ausreise ausstellen ließen. Die Katze wurde sofort geimpft, gechipt und gegen Parasiten behandelt. Die Tierärztin wusste genau, was zu tun war. Wir waren also in den allerbesten Händen und bekamen jede Hilfe, die wir brauchten. Als der Tierpass ausgestellt wurde, einigten wir uns auf den Namen Nika, nach der Siegesgöttin der griechischen Mythologie.

Unterwegs zur Tierärztin

Vor der großen Reise. Alle ganz aufgeregt.

Die wenigen Tage bis zu unserer Abreise sollte Nika in der Wohnung von Ioanna verbringen. Zu groß war unsere Sorge, dass sie weglaufen oder irgendwo eingesperrt werden könnte. Der Lebenskomplize und ich saßen nach dem Tierarztbesuch glücklich in Ioannas Küche und wurden von ihr mit Keksen und Eistee versorgt – auch wenn wir vor Aufregung kaum einen Bissen hinunter bekamen.

Ich rief schnell bei Eurowings – unserer Fluggesellschaft – an und buchte Nika als zusätzliches Handgepäck. Manche Fluggesellschaften transportieren Tiere im Frachtraum. Da es aber viele Horrorgeschichten von kaputten Transportboxen und verlorenen Tieren gibt, war ich sehr froh, dass Eurowings die Mitnahme von Tieren nur im Handgepäck erlaubt. Wir kauften noch eine passende Transporttasche und vereinbarten mit Ioanna und Valena einen Termin für die endgültige Abholung am Tag unseres Abfluges. Früh am Morgen, bevor wir mit dem Taxi zum Flughafen fuhren, holten wir Nika ab. Ihre große Reise begann, wir waren alle sehr aufgeregt und verabschiedeten uns herzlich von Ioanna und Valena, die uns so sehr geholfen hatten.

Am Flughafen von Heraklion trafen wir dann das Teammitglied von Kretapfötchen, das uns Fieps, unseren Flugpatenkater, übergab. Alles schien nach Plan zu laufen. Zwei Menschen, zwei Katzen. Ready for Take-off.

Ich hatte unglaubliche Angst vor der Willkür am Flughafen. In meinen Horrorphantasien und Albträumen sah ich mich dort katzenhassenden Sicherheitsbeamten gegenüber, die uns Nika wegen eines banalen Formfehlers in den Papieren brutal aus den Händen reißen und sofort vom Amtstierarzt einschläfern lassen würden.

Aber es kam natürlich anders und alle waren unglaublich nett.

Das Einchecken verlief problemlos und sowohl Nika als auch Fieps waren während des Fluges ganz ruhig.
Fieps wurde wie vereinbart in Hamburg abgeholt.

Fieps, unsere Flugpatenkatze

Fieps, unsere Flugpatenkatze.

Welcome home, Nika!

Nika lernte noch am selben Abend ihr neues Zuhause kennen. Und ihren neuen Kollegen Ernie. Sie begrüßte ihn mit einem ängstlichen Fauchen. Weitere folgten. Verständlich, denn bisher waren alle Kater auf der Straße nichts als eine Bedrohung für sie.

Nika ist jetzt knapp 9 Monate alt. Trotz ihres jungen Alters war sie bereits trächtig und hat Junge bekommen. Ioanna hat uns aber erzählt, dass sie den Wurf nie gesehen hat. Wir vermuten, dass die Welpen auf der Straße gestorben sind. Nika war einfach zu zart und zu klein, um sich um sie zu kümmern.

Während ich das hier schreibe, liegt Nika neben mir und hat zum ersten Mal in ihrem Leben einen sicheren Ort, an dem sie in Ruhe satt, sauber und sicher schlafen kann. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich so viele tolle Menschen getroffen habe, die uns so großartig geholfen haben, diesem kleinen Pups ein neues Leben zu ermöglichen.

Ich konnte ihr nichts versprechen. Aber das Versprechen, das ich nicht geben konnte, habe ich gehalten.

Welcome to your forever home, Nika.


Disclaimer:

Die Links in diesem Beitrag führen zu Tierschutzorganisationen. Ich bekomme von niemandem Geld für diese Verlinkung. Ich verlinke sie einzig und allein, weil ich die dahinterstehenden Menschen und ihre Arbeit sehr schätze.